Mühlenspiegel 40

26 / Kinderseite Puck und die schnellenBlitze Die Bäume am Waldrand leuchten seit einigen Tagen zart Grün und die kleinen Blättchen bewegen sich im Wind, der aufgekommen ist. Puck hat den Tag damit verbracht, Gänseblümchenblüten zu zählen, doch immer wenn er neu hinschaute, schienen es mehr geworden zu sein und er musste von vorn beginnen. Nun türmen sich jedoch düstere Wolken auf und bewegen sich so schnell, dass Puck wie hypnotisiert auf der Wiese sitzt und in den Himmel starrt. In der Ferne ist ein tiefes Grollen zu hören und erste Regentropfen trommeln aufs Dach vom roten Haus. „Komm rein!“, ruft Elli von der Terrassentür aus. „Da kommt ein Gewitter, da solltest du nicht unter den Bäumen sitzen.“ Puck hat von Elli schon oft gehört, wie gefährlich ein Gewitter sei, und doch hat er keine Angst. Er selbst wurde bei einem Gewitter auf die Erde geschleudert und kann sich noch gut daran erinnern, wie sehr er gestaunt hatte, als er im Wald gelandet war. Die ersten Blitze zucken nun in der Ferne, und Elli kann beobachte, wie sich Puck aufrichtet. Kerzengerade steht er auf der Wiese, hält die Nase hoch in den Wind, und als Elli ihn gerade noch einmal rufen will, rasselt ein riesiger Blitz ganz in der Nähe herunter. Der ganze Garten leuchtet so hell, als wären tausend Scheinwerfer auf einmal angemacht worden und es kracht ohrenbetäubend. Puck schaut kurz zu Elli, dann dahin, wo der Blitz heruntergekommen ist, und schießt los. „Meine Schwester, da kommt bestimmt meine Schwester!“, denkt er im Laufen und wird immer schneller. Puck hatte sich schon lange eine kleine Schwester gewünscht und musste in den letzten Wochen ständig an sie denken. Wenn er die Augen schloss, sah er schon, wie sie wohl aussehen würde: natürlich wäre sie kleiner als er, hätte ein seidiges Fell, hellbraune Knopfaugen und die kleinen Ohren würden lustig in die Höhe stehen, die Spitzen abgeknickt. Ihr buschiger Schwanz würde vor Freude wie von allein wedeln, wenn sie ihn ansah. Woher dieser Wunsch kam und das Bild von ihr, das wusste er nicht, doch er konnte an nichts anderes mehr denken. Jetzt bemerkt Puck nichts von dem Weg, den er läuft. Er fliegt fast wie im Traum über Baumstämme, zwischen Büschen hindurch geradewegs zu der Stelle, an der der Blitz heruntergekommen ist. Als er im vollen Lauf durch ein Gebüsch springt, kommt er gerade noch zum Stehen, als er vor dem großen Baum steht, unter dem er selbst vor langer Zeit hier im Wald angekommen war. Der dicke Ast, der damals vom Blitz getroffen und abgeknickt war, liegt noch immer nahe dem Stamm. Der Donner grollt noch leicht aus der Ferne, doch als auch der Wind sich legt hört Puck ein leises Wimmern. Eher ein Piepsen, oder ein Fiepen? Es kommt direkt von dem großen Ast am Boden. Puck schnüffelt aufgeregt im Laub. „Lilli? Bist du das? Wo steckst du?“, flüstert er und beginnt tiefer zwischen den Zweigen zu suchen. Da stößt seine Nase gegen etwas Warmes, Weiches. Er schaut genauer hin, und da sitzt ein winziges Ding. Schwarze Knopfaugen, die noch müde und verklebt erscheinen, blinzeln ihn an, sehr kleine Ohren ragen vom Kopf ab, mit winzigen Puscheln an den Spitzen. Das Fell von dem Winzling ist rotbraun, nicht sehr dicht, und es hat einen langen Schwanz und sehr kurze Beine mit überraschend langen Zehen. Puck schüttelt sich, als ob er nicht glauben kann, was er da vor sich sieht. Das Ding fiept jämmerlich und zittert dazu. „Du bist nicht Lilli, oder? “, fragt er zögerlich. „Fiep.“, mehr kommt nicht aus dem Winzling. „Du bist bestimmt nicht Lilli, doch was soll ich nur mit dir machen? Es ist doch zu kalt für die drei Haare, die du hast. Hast du denn gar keine Familie?“ „Fiep“, antwortet das Ding, und Puck ahnt, dass er sich um den Zwerg kümmern sollte, damit er nicht kaputt geht. „Ich sollte dich zu Elli bringen. Die weiß bestimmt, was zu tun ist.“ Puck schaut sich suchend um, dann zieht er Grasbüschel vom letzten Jahr heraus, legt sie neben das kleine Wesen und versucht so ganz vorsichtig das Gras mit dem kleinen Ding mittendrin mit den Zähnen

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